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letzte Änderung: 28.11.2020
Hans-Dieter Fronz
zur Ausstellung Heinrich Mutter “Hommage zum 90. Geburtstag”
Haus der modernen Kunst in Staufen-Grunern 2017
Badische Zeitung, 04.Februar 2017
Wettstreit der Formen
Das Haus der modernen Kunst in Staufen zeigt Arbeiten von vier Zeichnern: Heinrich Mutter,
Jaroslav Kovár, Eberhard Brügel und Raymond Stoppele.
Ihre Stellung als Skizzen liefernde Dienstmagd der Malerei hat die Zeichnung längst
aufgekündigt. Im Gang der Zeit ist ihre Autonomie stetig gewachsen. Noch in diesem Winter
anlaufende große Ausstellungen in Heilbronn und Frankfurt zeugen von ihrem Selbstbewusstsein
und gestiegenem Renommee. Die Ausstellung "Zeichnungen" im Haus der modernen Kunst in
Staufen-Grunern liegt so gesehen voll im Trend.
Dabei haben die vier dort ausgestellten Künstler mit neumodischen konzeptuellen Extravaganzen
nichts gemein. Für Manfred Kluckert, den Hausherrn, sind sie schlicht "Klassiker" der
Zeichenkunst am Oberrhein. Man widerspricht nicht – jedenfalls was Heinrich Mutter und
Jaroslav Kovár und Eberhard Brügel angeht, die sich kannten und schätzten. Auch der Jüngste im Bunde,
Raymond Stoppele aus Mulhouse, ist auf einem guten Weg.
Heinrich Mutter, nebenbei, war für ihn immer der Zeichner der Gegenwart.
Man kennt ja Mutters teils großformatige Blätter – und ist doch jedes Mal aufs Neue begeistert
gebannt. Auf nichts Gegenständliches zielen die Zeichnungen, auch wenn die filigranen
Liniengespinste, darin der wandernde Blick sich lustvoll verfängt, voller Naturanmutung sind,
von Vegetation oder Wasserfall. Dabei dienen die nervösen Strichlagen und die krakelige Schrift
der Bleistift-Lineamente einzig dazu, "das Weiße freizulegen", wie Mutter einmal selbst
formulierte. Schöner lässt sich die Freiheit, Ungebundenheit, die dieser Kunst Leitstern sind,
nicht umschreiben.
Bei Jaroslav Kovár spielt die Linie lange nicht die dominierende Rolle, die ihr bei Heinrich Mutter zukommt.
Vielmehr wird sie zur Gehilfin der Fläche selbst. In der wandfüllenden Mischtechnik "Fragmente" ist sie im
leuchtenden Gelb, das die tief schwarze Bildfläche kometengleich diagonal quert, selbst flächig.
Auch sonst lebt Kovárs Kunst von der Ausdruckskraft starker Kontraste, ja Gegensätze – dem Wettstreit der
Formen zudem und der durch ihn erzeugten ungeheuren Bilddynamik. Blätter aus den beiden letzten Lebensjahren
variieren dann im gedoppelten Motiv die Figur einer schützenden Hülle. Ans Herz gelegt seien dem Besucher nicht
zuletzt die Radierungen in Kleinstauflage zu günstigem Preis.