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letzte Änderung: 28.11.2020
Hans-Dieter Fronz
zur Ausstellung Heinrich Mutter “Hommage zum 90. Geburtstag”
Haus der modernen Kunst in Staufen-Grunern 2014
Badische Zeitung, 18.01. 2014
Ein Vorschein von Freiheit
Das Haus der modernen Kunst in Staufen-Grunern zeigt Arbeiten von Heinrich Mutter.
"Ins Offene, Freund". Beim Anblick der Zeichnungen von Heinrich Mutter kann einem das Hölderlin-Wort in den Sinn
kommen. Dem Blick öffnen sie sich wie eine Landschaft, fast buchstäblich. Erscheinen sie doch weniger als Fenster zur
Wirklichkeit wie das Tafelbild seit der Renaissance, das das malerische Sujet, insofern im Fenster-Bild die Wand
unweigerlich mitgedacht ist, immer auch ein wenig entrückt. Sondern einer Pforte gleich, einem Portal – allein schon
durch die Maße. Denn manche Blätter haben wahrlich diese Dimensionen. Und führen den Betrachter so gleichsam in
das hinein, was sie zeigen. Durch diese Pforte tretend, kann er im Gelände, das die Zeichnungen sind, sich ergehen,
lustwandeln mit den Augen. Ein Rezensent prägte das glückliche Wort vom Bleistift-Gebiet.
Zeichnungen von Heinrich Mutter zu sehen wie jetzt im Haus der modernen Kunst in Staufen-Grunern, ist stets aufs
Neue beglückend. Gelegenheit dazu gab es in den letzten Jahren wenig. Nach dem Tod von Mutters Ehefrau Lisbet
haben die beiden Söhne im Nachlass über die jetzt gezeigten Blätter hinaus noch so manche bisher nicht ausgestellte
Zeichnung entdeckt. Was Hoffnung zu weiteren Gelegenheiten gibt. Das Glück, das diese Zeichnungen gewähren – es
ließe sich vielleicht als das des Vorscheins von Freiheit beschreiben. Freiheit von der Diktatur der Zwecke und der
Herrschaft der glatten Oberfläche – von der Autorität auch einer effektiven, stets schnurgerade auf kürzestem Weg ans
Ziel strebenden oder auf den Punkt kommenden instrumentellen Vernunft. Hier, in den brüchigen, schütteren
Lineamenten der Blätter mit all ihren Verwerfungen, können wir die Linie bei ihrer suchenden Bewegung beobachten.
Wie sie eigenwillig ihrer Wege geht. Wie sie sich mit anderen zu feinen, das Blatt überziehenden faserigen Gespinsten
verknüpft. Die sich an einer Stelle verdichten, um an einer anderen aufzubrechen wie Wolken. Diese krakeligen
Setzungen, nervösen Kritzeleien – wir nehmen sie als Ausschläge auf der Richter-Skala der Emotion, darin der
Natureindruck nachzittert. Manchmal intensivieren sich Linienbündel in ausholenden, energischen Strichlagen – hier ist
man versucht, von action drawing zu sprechen – zur Nacht. Selbst dort noch, gerade auch dort stellt sich die Empfindung
von Öffnung ein. Denn es ist eine einladende Nacht, die das Auge aufnimmt und ins Geheimnis geleitet.
Der singuläre Zeichner, als den die Kunstwelt Heinrich Mutter kennt, hat, was vielleicht wenigen bekannt ist, auch gemalt
und in der Druckgrafik gearbeitet, bevor er dem Bleistift die Treue hielt. Im Flur und auf der Galerie im Obergeschoss
zeigt die Schau neben einigen Gemälden Farbholzschnitte sowie Farblithografien aus den 60er und 70er Jahren. In den
drei an Grieshaber orientierten Holzschnitten meinen wir bereits einen Anflug des graphischen Ingeniums zu verspüren,
das uns aus den Zeichnungen entgegenleuchtet.
PS: Nach der Ausstellung, beim Spazierengehen , etliche Heinrich Mutters gesehen. Im Blick nach oben ins filigrane
Geäst der Bäume. Oder seitlich, beim Anblick der kryptischen Graphik von Hecke und Gebüsch.